„Die zurückliegenden zwei Jahre sind in der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Hessen stark durch die Coronapandemie geprägt gewesen. Dies betrifft sowohl die Rahmenbedingungen für die Durchführung der Gerichtsverfahren als auch die Inhalte der juristischen Auseinandersetzungen. Wir können heute feststellen, dass die Gerichte zu jeder Zeit der Pandemie handlungsfähig gewesen sind. Gerichtsverhandlungen sind durchgängig geführt worden und pandemiebedingte Verzögerungen die Ausnahme geblieben. Die Kooperationsbereitschaft der allermeisten Verfahrensbeteiligten, vor allem auch der Rechtsanwälte, hat uns den notwenigen Spagat zwischen Handlungsfähigkeit und Gesundheitsschutz sehr erleichtert“, führte der Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main Roman Poseck heute in Frankfurt am Main anlässlich einer Zwischenbilanz zu zwei Jahren Justiz und Corona aus.

Die Erledigungszahlen und Verfahrenslaufzeiten haben sich in den vergangenen zwei Jahren trotz Corona annähernd auf dem Niveau der Jahre vor Corona bewegt.

Bei den Landgerichten in Hessen sind 2021 beispielsweise 27.553 erstinstanzliche Zivilverfahren erledigt worden. 2020 waren es 27.818. Vor der Pandemie lag die Zahl 2018 bei 25.667. Die Verfahren haben 2021 im Schnitt 12,2 Monate gedauert gegenüber 11,5 Monaten im Jahre 2020 und 11,8 Monaten in 2018.

Ein ähnliches Bild zeigen die erstinstanzlichen Strafsachen: Hier haben die Landgerichte 2021 1.095 Verfahren bei einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von 10,1 Monaten erledigt. 2020 waren es 1.121 Verfahren; die Verfahrensdauer hat im Schnitt 9,9 Monate betragen. 2018 konnten 1.053 Verfahren bei einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von 10,3 Monaten erledigt werden.

„Corona ist auch eine inhaltliche Herausforderung für die Gerichte. Die Amtsgerichte, die Landgerichte und das Oberlandesgericht haben in den vergangenen zwei Jahren zahlreiche Verfahren mit ganz neuen rechtlichen Fragestellungen erreicht. Davon sind alle Bereiche betroffen, also Zivilverfahren, Familienverfahren und Straf- sowie Bußgeldverfahren. Es ist ein Markenzeichen unseres Landes, dass der Rechtsstaat auch in Krisenzeiten den Weg weist. Die juristische Aufarbeitung der Coronapandemie wird die Gerichte auch in den nächsten Monaten und Jahren stark beschäftigen“, erläuterte Roman Poseck.

Im Sommer wird vor dem Oberlandesgericht zum Beispiel eine Streitigkeit einer Messeausstellerin gegen die Messe Frankfurt wegen einer zunächst erfolgten Verschiebung und späteren Absage einer Messe auf Ersatz der bereits getätigten Aufwendungen für den Standbauer, PR und Hotelzimmer in Höhe von rund 74.000 € verhandelt. Rund 60 Verfahren sind allein bei den Versicherungssenaten des OLG im Jahr 2021 eingegangen, in denen es um die Inanspruchnahme von Betriebsschließungsversicherungen für die wirtschaftlichen Folgen der coronabedingten Beschränkungen der Ausübung der Gewerbetriebe geht. Weitere 40 Verfahrenseingänge des vergangenen Jahres betreffen Fragen der Gewerberäume, die infolge der behördlich auferlegten Schließzeiten bzw. Beschränkungen nicht oder nicht voll nutzbar waren. Auch die Kündigung von Verwertungsverträgen wegen der vorübergehenden Einstellung des Spielbetriebes der Fußballligen hat das OLG bereits beschäftigt.

Die Amts- und Landgerichte in Hessen bearbeiten nach wie vor zahlreiche Verfahren wegen Reisen, die aufgrund von Corona abgebrochen oder storniert wurden, oder wegen nicht stattgefundener Hochzeitsfeiern. Auch in Räumungsklagen wird vermehrt auf die Auswirkungen der Pandemie, zum Beispiel auf Mietausfälle wegen Jobverlusts oder

Kurzarbeit, Bezug genommen. In zahlreichen Verkehrsunfallsachen wird vor den Amts- und Landgerichten aktuell über die Ersatzfähigkeit von Aufwendungen von Reparaturbetrieben für gesteigerte Hygienemaßnahmen gestritten.

Corona ist auch ein Thema für die hessischen Familiengerichte, so unter anderem in Streitigkeiten wegen Impfungen von Minderjährigen bei unterschiedlichen Meinungen der Erziehungsberechtigten.

Die Übersterblichkeit durch Corona hat auch die Nachlassabteilungen einiger Amtsgerichte vor zusätzliche Herausforderungen gestellt.

Vor allem vor den Amtsgerichten werden zudem immer mehr Strafverfahren und Bußgeldverfahren mit Coronabezug geführt. Die Strafverfahren betreffen vor allem die Fälschung von Impfpässen und das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse. Bei den Bußgeldverfahren stehen Verstöße, die Gegner von Corona-Auflagen begangen haben, im Mittelpunkt, beispielsweise im Zusammenhang mit Versammlungen.

„Die Zahl der Bußgeldverfahren bei den Amtsgerichten in Hessen wegen Verstößen gegen Corona-Auflagen liegt bereits im deutlich vierstelligen Bereich. Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat zuletzt etwa 850 solcher Verfahren verzeichnet. Beim Amtsgericht Wiesbaden sind es 400 Verfahren und beim Amtsgericht Fulda mehr als 50. Die Gerichte zeigen Konsequenz bei der Ahndung der Verstöße. Die Durchführung dieser Verfahren ist aber in der Regel schwierig und aufwändig. Dies liegt vor allem daran, dass viele Beteiligte dem Staat und den Gerichten ablehnend und feindselig gegenübertreten. Das konfrontative Auftreten betrifft unter anderem auch sitzungspolizeiliche Anordnungen des Gerichts, wie etwa das Maskentragen im Gerichtssaal. Ein Teil der sogenannten Querdenkerszene vertritt einen Rechtsanarchismus, bei dem offensichtlich jeder sein ganz eigenes Recht gestaltet und durchsetzt. Diese Entwicklung ist erschreckend und gefährlich zugleich. In unserem Rechtsstaat hat jede Person die Möglichkeit, staatliche Maßnahmen zu kritisieren und gerichtlich überprüfen zu lassen. Das geltende Recht ist aber durchweg zu beachten. Es kann nicht durch eigene Ansichten und Maßstäbe außer Kraft gesetzt werden. Wer sich in eine rechtliche Parallelwelt begibt, gefährdet den Rechtsstaat und das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft“, führte OLG-Präsident Roman Poseck abschließend aus.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Pressemitteilung vom 14. März 2022

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