Das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht hat mit heute verkündetem Urteil festgestellt, dass der Landtag durch die Verfassungsänderung zur Einrichtung des Notausschusses nicht gegen die Rechte einer fraktionslosen Abgeordneten verstoßen hat (Az. LVerfG 4/21). Es widerspräche jedoch dem Demokratieprinzip als einer der grundlegenden Verfassungsentscheidungen, wenn die Mitglieder des Ausschusses allein von den Fraktionen benannt würden. Artikel 22a der Landesverfassung sei deshalb so auszulegen und anzuwenden, dass die Mitglieder des Notausschusses durch den Landtag gewählt werden müssen.

Das Landesverfassungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Auch der verfassungsändernde Gesetzgeber unterliegt Beschränkungen. Eine Verfassungsänderung ist „verfassungswidriges Verfassungsrecht“, wenn sie gegen den Kernbestand der identitätsstiftenden und -sichernden Grundentscheidungen der Landesverfassung verstößt. Eine dieser Grundentscheidungen ist das Demokratieprinzip.

Demokratie im Sinne der Landesverfassung ist – trotz plebiszitärer Elemente – in erster Linie repräsentative Demokratie. Der Landtag als unmittelbares Repräsentationsorgan des Volkes erfüllt seine Funktion in der Regel in seiner Gesamtheit, das heißt durch die Mitwirkung aller seiner Mitglieder. Erst durch die Teilnahme aller Abgeordneten an der Arbeit des Landtags wird Demokratie lebendig. Sie haben dabei grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten.

Die durch die Verfassungsänderung vorgesehene Einrichtung und das Tätigwerden des Notausschusses verstoßen nicht gegen das Demokratieprinzip. Das Abstimmungsrecht der Antragstellerin im Landtag wird damit zwar eingeschränkt. Diese Einschränkung ist aber dadurch gerechtfertigt, dass mit dem Notausschuss die Funktionsfähigkeit des Landtags unter Berücksichtigung der Mehrheitsverhältnisse im Plenum sichergestellt werden soll. Dabei handelt es sich ebenfalls um Verfassungswerte.

Zu deren Sicherung ist die Schaffung des Notausschusses keine unverhältnismäßige Maßnahme. Eine gleichermaßen geeignete, die Abgeordnetenrechte weniger beeinträchtigende Maßnahme ist nicht erkennbar. Das Tätigwerden des Notausschusses als Notparlament ist darüber hinaus an enge Voraussetzungen geknüpft sowie zeitlich und inhaltlich begrenzt. Er darf insbesondere weder die Verfassung ändern, noch ein konstruktives Misstrauensvotum abhalten oder anstelle des Landtags Wahlen durchführen.

Auch das Verfahren zur Besetzung des Ausschusses ist verfassungsgemäß. Die Landesverfassung kann und muss im Hinblick auf das Demokratieprinzip nämlich so ausgelegt werden, dass nicht allein die Fraktionen über die Besetzung des Notausschusses bestimmen dürfen. Anders als bei normalen Arbeits- oder Fachausschüssen muss darüber der Landtag selbst durch eine Wahl entscheiden. Nur dadurch erhält der Notausschuss bei möglicher Mitwirkung aller Abgeordneten an dem Wahlakt diejenige demokratische Legitimation, die er wegen seiner besonderen Stellung als Notparlament benötigt.

Quelle: Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein, Pressemitteilung vom 25. März 2022

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