„Wir sind stolz darauf, dass wir es in der Sozialgerichtsbarkeit mit flexiblen und kreativen Lösungen, gleichzeitig mit Anstrengung und Disziplin erreicht haben, den Geschäftsbetrieb ohne größere Einschränkungen aufrechtzuerhalten.“ Präsident Martin Löns und Vizepräsident Dr. Jens Blüggel dankten in ihrem heutigen Jahrespressegespräch allen Angehörigen der Sozialgerichtsbarkeit für das große Engagement, für die Solidarität untereinander, für ihre Geduld und für die Haltung, aus der schwierigsten Situation das Beste zu machen.

Eingänge und Erledigungen sind nach 2020 weiter rückläufig. Den Sozialgerichten ist dabei trotz der spürbaren Beeinträchtigungen gerade im Sitzungsbetrieb ein geringer Bestandsabbau von rund 2000 Verfahren gelungen. Die Bestände bewegen sich mit knapp 100.000 Verfahren weiterhin auf Rekordniveau. Dies hat seinen Ursprung in großen Wellen von Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenhausträgern und Krankenkassen, von denen die Sozialgerichte 2018 und 2019 überschwemmt wurden. Die in diesem Bereich immer weiter steigenden Eingänge sind Ausdruck einer Fehlentwicklung im System der gesetzlichen Krankenversicherung. „Mit den Kosten der gerichtlichen Auseinandersetzung in zigtausenden Verfahren (Gerichts-, Anwalts- und Sachverständigenkosten) werden Beiträge der Versicherten in Milliardenhöhe verbrannt“, so Löns. Denn diese Ausgaben werden ganz oder anteilig aus den im Kern beitragsfinanzierten Haushalten mindestens eines der Beteiligten erbracht, egal wer gewinnt oder verliert. Eine sinnvolle Weiterentwicklung der Vergütungsstrukturen, so wie sie der Gesetzgeber von den am Abrechnungssystem Beteiligten erwartet, findet offensichtlich nicht statt. In NRW sind mittlerweile rund 10 Prozent aller eintausend Angehörigen der Sozialgerichtsbarkeit in Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern eingesetzt. Eine gründliche Revision durch den Gesetzgeber ist längst überfällig.

Der demografische Wandel hat auch die Sozialgerichtsbarkeit erreicht. Es besteht ein erhöhter Bedarf im gehobenen und im richterlichen Dienst; nicht alle Stellen konnten besetzt werden. „Die Justizministerkonferenz und ihr nachfolgend die Länder haben einen großen Fehler gemacht, indem sie das Sozialrecht aus der Juristenausbildung weitestgehend entfernt haben“, so Blüggel. „Ohne Nachfrage sterben die sozialrechtlich geprägten Lehrstühle aus – und uns fehlt der Nachwuchs.“ In den Spitzenpositionen vollzieht sich derzeit ein Generationenwechsel. Am Landessozialgericht mit seinen 21 Senaten sind 2021 fünf neue Vorsitzende Richterinnen und Richter ernannt worden. Mit der Nachbesetzung der Präsidentenstelle des Sozialgerichts Dortmund und den in diesem Jahr anstehenden Neubesetzungen von vier Sozialgerichten hat auch hier eine umfangreiche Fluktuation begonnen.

„Mit der Einführung der elektronischen Akte sind wir auch im bundesweiten Vergleich weiter auf einem guten Weg.“, berichtete Pressesprecher Dr. Uwe Hansmann. Am Pilotgericht SG Düsseldorf arbeiten seit November 2021 weitere 14 Kammern, seit Januar 2022 verfügt das SG Münster nun als erstes Sozialgericht in allen Kammern über e2A. Auf der Grundlage der dort gemachten Erfahrungen ist im Anschluss die Einführung an den anderen Sozialgerichten und dem Landessozialgericht geplant.

Nicht nur bei den Sozialgerichten, auch bei den Sozialleistungsträgern hat die Pandemie die Arbeit beeinträchtigt. Bei Rückkehr zu normalen Arbeitsbedingungen wird die Zahl der Klagen steigen, voraussichtlich auf das Niveau vor der Pandemie. Nicht nur pandemiebedingt sind in bestimmten Bereichen auch Problemzonen entstanden, die die Sozialgerichte in vielen Rechtsbereichen beschäftigen werden. Hierzu zählen die erst vor kurzer Zeit angelaufene Prüfung der Ansprüche auf Grundrente, Leistungen aus der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherung wegen der Folgen einer Covid-Infektion und natürlich Ansprüche auf Kurzarbeitergeld. Der künftige Personalbedarf ist allerdings noch nicht greifbar. Angesichts der exorbitanten Bestände bedarf es einer schnellen Reaktion im Sinne einer Verstärkung, wenn die Eingänge wieder steigen.

Quelle: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Pressemitteilung vom 7. April 2022

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