Kurzbeschreibung: Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit den Beteiligten Ende vergangener Woche zugestelltem Beschluss den Antrag von zwei Anwohnern abgelehnt, der Atomaufsichtsbehörde aufzugeben, den Betrieb des Kernkraftwerks Gemeinschaftskraftwerk Neckarwestheim II (GKN II) einstweilen einzustellen. 

Hintergrund waren erstmals im Jahr 2017 entdeckte Wanddickenschwächungen an den durch die Dampferzeuger der Anlage verlaufenden Heizrohren (sog. Dampferzeugerheizrohre, kurz DEHR). Diesen kommt eine Barrierefunktion zwischen dem Primärkreislauf und dem radioaktivitätsfreien Sekundärkreislauf zu, der zudem einer ständigen radioaktiven Aktivitätskontrolle unterliegt. Das GKN II verfügt über vier Dampferzeuger mit jeweils 4118 Heizrohren. Die Wanddickenschwächungen, von denen keine wanddurchdringend war, sind sowohl in Form flächiger Abtragungen („volumetrisch“) als auch rissartig („linear“) aufgetreten. Sie waren Gegenstand umfänglicher technisch-fachlicher Untersuchungen sowie von Beratungen u. a. in der Reaktorsicherheitskommission (RSK). Dabei wurden u. a. auf ungünstige wasserchemische Bedingungen zurückzuführende korrosive Ursachen für die Wanddickenschwächungen ermittelt und entsprechende Abhilfemaßnahmen festgelegt. Diese zielten einerseits auf die weitgehende Behebung der korrosiven Bedingungen durch betriebliche Änderungen und Spülvorgänge sowie andererseits auf die Sicherstellung der Barrierefunktion. Zu diesem Zweck wurden betroffene Rohre verschlossen und das Prüfintervall auf ein Jahr verkürzt. Bei der letzten Revision des GKN II im Jahr 2021 wurden hiernach noch 17 neue lineare Wanddickenschwächungen und sechs neue volumetrische Wanddickenschwächungen festgestellt, deren Tiefe und Länge sich teilweise an der Nachweisgrenze bewegten. Im Jahr 2018 waren noch 191 Rohre von linearen Rissbefunden betroffen gewesen. Das GKN II hat noch eine gesetzlich verankerte Restlaufzeit bis zum 31.12.2022.

Im Juni 2020 beantragten die Antragsteller beim Umweltministerium, das für die Atomaufsicht zuständig ist, den weiteren Betrieb des GKN II zu untersagen, weil die getroffenen Maßnahmen unzureichend seien. Das Umweltministerium lehnte den Antrag ab, wogegen die Antragsteller im Dezember 2020 Klage erhoben haben (Az. 10 S 4004/20), über die noch nicht entschieden ist. Mit ihrem Eilantrag machen die Antragsteller geltend, es könne ihnen nicht zugemutet werden, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Vielmehr müsse der Anlagenbetrieb zu ihrem Schutz vor einem auslegungsüberschreitenden Störfall schon jetzt vorläufig eingestellt werden. Für ihre Auffassung, die durchgeführten fachlichen Untersuchungen und die daraufhin ergriffenen Maßnahmen böten keine hinreichende Gewähr, dass es insbesondere aufgrund von nicht auszuschließenden Abrissen von DEHR zu einem schweren Atomunfall komme, stützen sich die Antragsteller auf von ihnen vorgelegte Gutachten. Diese widersprechen in verschiedenen Punkten den Annahmen und Ergebnissen der im behördlichen Verfahren befassten Sachverständigen. U. a. wird geltend gemacht, die Annahme des Umweltministeriums, dass von Rissen betroffene Rohre vor einem Bruch zunächst lecken (sog. „Leck-vor-Bruch“-Nachweis) und daher durch die Aktivitätsüberwachung rechtzeitig entdeckt würden, sei nicht gerechtfertigt, weil die Geschwindigkeit des Risswachstums nicht vorhergesagt werden könne. Das Land und die beigeladene Anlagenbetreiberin sind dem Antrag entgegengetreten. Sie haben ihrerseits weitere Stellungnahmen von Sachverständigen vorgelegt und u. a. auf die vorangegangene, umfängliche fachliche Begleitung sowie einschlägige, weltweit vorhandene Erfahrungswerte mit dem Schädigungsmechanismus der Spannungsrisskorrosion an DEHR hingewiesen.

Die Ablehnung des Antrags hat der 10. Senat des VGH damit begründet, dass die engen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegen müssten, die wie hier – aufgrund des bevorstehenden Laufzeitendes des GKN II – faktisch zu einer endgültigen und unumkehrbaren Vorwegnahme der Hauptsache führen würde. So sei ein Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht überwiegend wahrscheinlich und könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass den Antragstellern existenzielle Gefahren für Leib und Leben drohten. Dabei komme im Atomrecht, in dem es häufig – wie auch hier – wesentlich auf fachlich-technische Bewertungen ankomme, dem sog. Funktionsvorbehalt der Exekutive wesentliche Bedeutung zu. Dieser besage, dass die Exekutive für die Beurteilung von Art und Ausmaß bestehender Risiken und die Entscheidung, ob solche hinzunehmen sind oder nicht hingenommen werden können, allein verantwortlich sei. Hiervon ausgehend könne der Senat in Bezug auf die von den Antragstellern erhobenen Einwendungen gegen die fachlich-technische Bewertung der Aufsichtsbehörde keine eigene Beurteilung vornehmen oder gar die angesprochenen naturwissen-schaftlichen Fragen eigenständig abweichend bewerten. Diese beruhe auf einer breiten und auch gutachterlich aufgearbeiteten Tatsachengrundlage und sei zudem mit erheblichen Teilen der Fachwelt abgestimmt. Hinzu komme, dass im Rahmen der jährlichen Revisionen eine fortlaufende Validierung stattfinde und die Tragfähigkeit der Risikoeinschätzung hierbei – so zuletzt im Sommer 2021 – bestätigt werde. Gerade vor dem Hintergrund der Ergebnisse der aktuellen Revisionsprüfung sei ein relevantes Risiko unzureichender Störfallbeherrschung nicht zu unterstellen, so dass den Antragstellern nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit schwere und irreversible Nachteile drohten, die den Erlass der begehrten Regelungsanordnung zur vorläufigen Stilllegung des GKN II rechtfertigen könnten.

Der Beschluss des VGH ist unanfechtbar (10 S 1870/21).

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 2. Mai 2022

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