Die von der Bundesregierung geplante Abschaffung der Strafbarkeit von Werbung für Schwangerschaftsabbrüche ist von der Mehrheit der Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags am Mittwoch, 18. Mai 2022, unterstützt worden. Für die Gießener Ärztin Kristina Hänel, die die seit Jahren anhaltende und zum Teil heftig geführte Debatte durch ihre Verurteilung wegen Werbung für den Schwangerschaftsabbruch ins Rollen gebracht hatte, gibt es wie für die anderen Befürworterinnen in der Anhörung keinen guten Grund, Frauen, die von ungewollter Schwangerschaft betroffen sind, Informationen vorzuenthalten. Der abzuschaffende Paragraf 219a des Strafgesetzbuches sei eine der Ursachen für die immer schlechter werdenden Versorgungslage beim Schwangerschaftsabbruch, erklärte die Ärztin. Gegen ihre Verurteilung und gegen den Paragrafen 219a hat Hänel Verfassungsbeschwerde eingereicht. 

In der vom stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Thorsten Lieb (FDP) geleiteten ersten öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses in der 20. Wahlperiode ging es vor allem um den Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (Paragraf 219a StGB), zur Änderung des Heilmittelwerbegesetzes und zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch“ (20/1635). Dieser war in der vergangenen Woche erstmals im Plenum beraten worden. Die Abgeordneten hatten darüber hinaus den von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegten Antrag mit dem Titel „Interessen der Frauen stärken, Schutz des ungeborenen Kindes beibehalten“ (20/1017) und den Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Paragraf 219a StGB aufheben – Selbstbestimmung, Entscheidungsfreiheit und ausreichende Versorgung sicherstellen“ (20/1736) beraten. Die Anträge standen auch auf der Tagesordnung der Anhörung.

Auch die Bundesvorsitzende des Bundesverbands pro familia, Monika Börding, begrüßte die geplante Streichung von 219a aus dem Strafgesetzbuch. Dieser Schritt sei überfällig, denn der Paragraf verletze die Informationsrechte von Ratsuchenden und Ärztinnen und Ärzten. Künftig könnten sich ungewollt Schwangere niedrigschwellig im Netz darüber informieren, wo es in ihrer Nähe eine Praxis oder eine Klinik gibt, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Ärztinnen und Ärzte sowie Kliniken könnten nach der Streichung nicht mehr von Gegnerinnen und Gegnern der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung wegen der Bereitstellung solcher Informationen angezeigt werden. Die Streichung sei ein guter erster Schritt, reiche jedoch nicht aus, betonte Börding in ihrer Stellungnahme. 

Dies sieht auch der Deutsche Juristinnenbund (djb) so. Leonie Steinl, Vorsitzende der Kommission Strafrecht, erklärte, für eine vollständige Gewährleistung reproduktiver Selbstbestimmung und reproduktiver Gesundheit seien weitere Maßnahmen erforderlich. Insbesondere müsse der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen verbessert werden. Die Abschaffung des Paragrafen 219a beseitige die Verletzung der Berufsfreiheit der informierenden Ärztinnen und Ärzte. Die Rehabilitierung der auf Grundlage von 219a verurteilten Personen setze hierfür ebenfalls ein wichtiges Zeichen. 

Dem stimmte Valentina Chiofalo vom Netzwerk Doctors for choice Germany zu. Wie Steinl gab sie zu Protokoll, dass die geplante Änderung des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) nicht weit genug gehe. Im Hinblick auf die immer schlechter werdende Versorgungslage werde deutlich, erklärte die Juristin, dass der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch weiter abgesichert werden muss. Die jetzigen Defizite seien dabei auf die andauernde Kriminalisierung, Stigmatisierung und Tabuisierung des Schwangerschaftsabbruchs zurückzuführen.

Aus Sicht der Frauenärztin Angela Köninger trifft die von mehreren Sachverständigen geschilderte schlechte Lage nicht zu. Die Klinikdirektorin und Inhaberin des Lehrstuhls für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität Regensburg sprach sich in ihrer schriftlichen Stellungnahme für eine sachliche und auf dem Boden der realen Tatsachen geführte Diskussion, fern von „theoretischen Angstkulissen“, aus. Aus ihrer Sicht seien die in der aktuellen Debatte um den Gesetzentwurf postulierten Missstände in der Information und Versorgung von Frauen im Schwangerschaftskonflikt in der Realität nicht präsent. Zudem stelle 219a nicht den Grund dar, warum Ärztinnen und Ärzte keine Abbrüche anbieten. Grund hierfür sei in fast allen Fällen deren Berufung auf ihr eigenes Selbstbestimmungsrecht. 

Natascha Sasserath-Alberti vom Kommissariat der Deutschen Bischöfe erklärte, dass das Werbeverbot entgegen der Auffassung der Bundesregierung ein wichtiger Bestandteil des gut austarierten Schutzkonzepts des Strafgesetzbuchs und des Schwangerenkonfliktgesetzes für das ungeborene Leben sei. Die Expertin betonte, dass der Staat eine verfassungsrechtlich gebotene Schutzpflicht für das ungeborene Leben habe. 219a sollte aus diesem Grunde erhalten werden und allenfalls im Hinblick auf berechtigte Informationsbedarfe der Frauen Anpassungen erfahren. Um sicherzustellen, dass Frauen die notwendigen, fachlich fundierten und qualitätsgesicherten Informationen erhalten, die sie als Grundlage für ihre Entscheidung benötigen, sei die von der Bundesregierung geplante Streichung weder geeignet noch erforderlich. 

Der 1990 in Leipzig gegründete Verein „Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren“ (Kaleb) sprach sich ebenfalls für die Beibehaltung von Paragraf 219a aus. Geschäftsführer Albrecht Weißbach erklärte, der Bundestag solle nicht nur 219a als Teil des staatlichen Schutzes für die Würde des Menschen betrachten, sondern darüber hinaus Maßnahmen ergreifen, die eine falsche Einordnung von Abtreibungen als „normale“ medizinische Heilbehandlungen verhindern. Die Bundesregierung solle die Lücken beim Schutz von Ungeborenen und ihren Müttern schließen, statt bestehende Schutzvorschriften zu beseitigen. 

Die eingeladenen Strafrechts-Sachverständigen vertraten unterschiedliche Meinungen. Elisa Marie Hoven von der Universität Leipzig erklärte, die Reform des 219a habe die grundlegenden Bedenken gegen das strafrechtliche Verbot nicht beseitigen können. Nach derzeit geltendem Recht würden weiterhin Handlungen unter Strafe gestellt, die keinen Unrechtsgehalt aufwiesen. Die Bestrafung von neutralen Informationen über die Art und Weise von Schwangerschaftsabbrüchen sei verfassungsrechtlich bedenklich. Zudem sei die fortgeltende Bestrafung der sachlichen Information über nicht verbotene berufliche Handlungen für den Schutz des ungeborenen Lebens weder geeignet noch erforderlich. Das Beharren der CDU/CSU-Fraktion auf der Strafnorm von 219a entspreche nicht mehr der heutigen Lebenswirklichkeit. Der Paragraf habe seine Legitimation mit der Entscheidung für die strafrechtliche Zulässigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen verloren.

Dagegen ist für Michael Kubiciel von der Universität Augsburg die Streichung des Paragrafen verfassungsrechtlich nicht notwendig, sondern im Gegenteil problematisch. Das Ziel des Regierungsentwurfes, mehr sachliche Informationen zu den Methoden von Schwangerschaftsabbrüchen zu ermöglichen, lasse sich zielgenauer mit einer Änderung des Paragrafen erreichen. Zudem eröffne die Abschaffung Spielräume für „meinungshaltige“ Darstellungen bis hin zur Publikumswerbung. Dies widerspreche der Forderung des Bundesverfassungsgerichts, der Gesetzgeber müsse dem Eindruck entgegentreten, bei einem Schwangerschaftsabbruch handele es sich um einen „alltäglichen, also der Normalität entsprechenden Vorgang“. Unterschiedlich bewerteten Hoven und Kubiciel auch die geplante Aufhebung von rechtskräftigen Verurteilungen. 

Wie vor ihr auch Hoven begrüßte es Anna Katharina Mangold, Europarechtlerin von der Europa-Universität Flensburg, wenn „verfassungswidrige Verurteilungen wegen Verstoßes gegen den verfassungswidrigen Paragrafen 219a StGB in seinen seit 1990 geltenden Fassungen aufgehoben werden“. Mangold betonte in ihrem Statement, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtssprechung zum Schwangerschaftsabbruch das Werbeverbot an keiner Stelle erwähne, obgleich es im Übrigen alle einschlägigen Strafrechtsnormen gründlich überprüft habe. Es gebe keinen verfassungsrechtlich legitimen Zweck, der die Eingriffe in die Berufsfreiheit der Ärztinnen und Ärzte einerseits, in die Informationsfreiheit der schwangeren Frauen andererseits zu rechtfertigen vermöchte. 

Bei den Fragen der Abgeordneten ging es vor allem um die Sicherung der Versorgungslage beim Schwangerschaftsabbruch, die Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte, den Sinn einer möglichen Modifizierung des Paragrafen 219a, den Schutz des ungeborenen Lebens, die Rehabilitierung verurteilter Ärztinnen sowie die geplanten Änderungen des Heilmittelwerbegesetzes.

Quelle: Deutscher Bundestag, HiB Nr 251 vom 18. Mai 2022

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