Die „nicht ganz leichtgewichtige Frage“ der Verhältnismäßigkeit einer Wahlwiederholung bestimmt nun die Beratungen im Wahlprüfungsausschuss. Mit einer endgültigen Entscheidung, wie es mit dem Einspruch des Bundeswahlleiters gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl vom 26. September 2021 weitergeht, sei nicht vor der parlamentarischen Sommerpause zu rechnen. Das machte Vorsitzende Daniela Ludwig (CDU/CSU) heute (24. Mai 2022) bei einer mündlichen Anhörung deutlich. Bundeswahlleiter Georg Thiel und Ulrike Rockmann von der Berliner Landeswahlleitung warteten dazu mit unterschiedlichen Befunden auf. Thiel verwies auf die Gesamtzahl der Wahlfehler in Berlin bei der Bundestagswahl am 26. September 2021. In einigen Wahlräumen sei eine Wiederwahl erforderlich. Rockmann meinte, sie sehe nicht, dass eine Wiederwahl das verhältnismäßige Mittel sei.

Ludwig beschrieb die knifflige Ausgangslage für den Wahlprüfungsausschuss: Selbst bei Einigkeit über Wahlfehler oder Mandatsrelevanz heiße das nicht automatisch, dass ein Wahlgang ungültig ist. Vielmehr greife dann immer noch das Gebot des geringstmöglichen Eingriffs. Überdies sei der Bestandsschutz einer gewählten Volksvertretung zu gewährleisten. Neuwahlen erforderten komplexe Vorbereitungen. Die Arbeitsfähigkeit des Parlaments solle aber möglichst aufrecht erhalten bleiben.

Thiel meinte, bei der Frage der Angemessenheit einer Wiederwahl dürfe es keine Rolle spielen, dass sich die Ausgangslage für die Parteien ändere. Für sie heiße es: neues Spiel, neues Glück. Auch der anfallende Aufwand falle nicht ins Gewicht: Für ein valides Wahlergebnis müsse er es wert sein.

Vor den Überlegungen über die Verhältnismäßigkeit einer Wiederwahl stand bei der Verhandlung die Frage im Raum, ob die Wahlfehler in Berlin überhaupt Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Bundestags gehabt haben könnten. Auch hier gingen die Meinungen auseinander.

Die in Berlin gemachten Wahlfehler seien so schwerwiegend, dass mehr als nur theoretisch die Möglichkeit einer Mandatsrelevanz bestehe, erklärte Thiel. Mithin: In sechs Berliner Wahlkreisen müsse die Bundestagswahl wiederholt werden. Insgesamt müssten die Berliner Wahlvorgänge als Chaos gewertet werden. Es habe keinen ordnungsgemäßen Ablauf und keine ordnungsgemäße Dokumentation gegeben. Dieser Sachverhalt sei gut ermittelt worden. Die bei der Verhandlung erörterten Vorkommnisse reichten von fehlenden und falschen Wahlzetteln bis zu langen Wartezeiten und Wahllokalen, die teilweise deutlich bis nach 18 Uhr geöffnet hatten. Praktische Auswirkung sei gewesen, dass Hunderte von Bürgern nicht hätten wählen können. Es gehe nicht um Berechnungen, wie sie gewählt haben könnten.

Rockmann beharrte darauf, dass sie keinen Einspruch gegen die Wahl einlegen werde. Es habe sicherlich Behinderungen gegeben. Aber wie viele Bürger deshalb von der Wahl Abstand genommen hätten, sei nicht quantifizierbar. Abgesehen von der dokumentierten Zahl der Bürger, die nicht wählen konnten, weil Wahlzettel fehlten, habe jeder auch trotz Schlangen sein Wahlrecht wahrnehmen können: „Man hätte wählen können, wenn man das gewollt hätte.“ Sie wartete mit einem Zahlenwerk auf, um darzulegen, dass eine Wahlwiederholung nicht mandatsrelevant wäre.

Die hohen Hürden für eine solche Feststellung zeigte auch die Vorsitzende auf. Ein Wahlfehler könne nur dann zu einer Wiederholungswahl führen, wenn es nicht nur die theoretische Möglichkeit einer Mandatsrelevanz gebe, sondern eine konkrete und eine nicht völlig fern liegende Wahrscheinlichkeit bestehe, dass er auf das Wahlergebnis und damit auf die Sitzverteilung im Parlament Einfluss habe.

Der Wahlprüfungsausschuss muss nun darüber beraten und abstimmen, welche Beschlussempfehlung er dem Bundestag gibt: Muss es zu einer Wahlwiederholung kommen? Wenn ja, dann wo? So formulierte Ludwig die Fragestellung.

Quelle: Deutscher Bundestag, HiB Nr. 267 vom 25. Mai 2022

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