Die Debatte zu Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche hat auch eine öffentliche Debatte über das Versagen von Fürsorge- und Aufsichtspersonen ausgelöst. Anlass waren beispielsweise Fälle, in denen Geistliche nach Bekanntwerden ihrer Missbrauchstaten – teils sogar nach einschlägiger Verurteilung – weiter in der Seelsorge eingesetzt wurden. Der Vorsitzende der 93. Justizministerkonferenz und bayerische Justizminister Georg Eisenreich: „Nach geltendem Recht können Personen, die durch ihr Tun oder – vor allem – Unterlassen sexuellen Missbrauch von Kindern fördern, nur in besonderen Konstellationen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Bei Taten des sexuellen Missbrauchs setzt dies stets Vorsatz voraus. Bei einer Körperverletzung kann hingegen bereits einfache Fahrlässigkeit zu Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren führen. Es ist unverständlich, warum der strafrechtliche Schutz vor Körperverletzungen an dieser Stelle weiter reicht als bei sexuellem Missbrauch von Kindern. Diese Schutzlücke muss der Bundesgesetzgeber aus meiner Sicht schließen.“

Bayern und Baden-Württemberg bringen dazu einen Antrag bei der 93. Justizministerkonferenz (1./2. Juni) ein. Eisenreich: „Es ist die Aufgabe des Rechtsstaates, Kinder bestmöglich zu schützen. Der Bund hat jüngst – wie seit langem von Bayern gefordert – den Kindesmissbrauch vom Vergehen zu dem hochgestuft, was er ist: ein Verbrechen. Wir fordern den Bundesgesetzgeber auf, zusätzlich Fälle in den Blick zu nehmen, in denen fürsorge- oder aufsichtspflichtige Personen eine fremde Missbrauchstat durch grobes Fehlverhalten fördern.“

Eine rechtspolitische Debatte über die strafrechtliche Verantwortung dieses Personenkreises ist bislang trotz erschütternder Missbrauchstaten ausgeblieben. Die Fragestellung reicht dabei weit über den kirchlichen Bereich hinaus. Eisenreich: „Die große Mehrheit der Aufsichtspersonen in Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, in Schulen, in Sportvereinen oder in Ämtern setzt sich mit großem Engagement für das Wohl von Kindern ein. Diesen Menschen möchte ich ausdrücklich danken. Wer aber bei der Aufsichtspflicht in Fällen von Kindesmissbrauch schwer versagt, der muss nach dem Willen Bayerns mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.“

Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges: „Beim sexuellen Missbrauch von Kindern hinterlässt nicht nur das physische Leid tiefe Spuren. Fast genauso schwer wiegt – das ist aus vielen Opferberichten bekannt – die Erfahrung, dass fürsorgepflichtige Bezugspersonen wegschauen. Das Kind leidet doppelt: Es ist hilflos schrecklichen körperlichen Qualen ausgesetzt, und ausgerechnet die Person, von der es sich Schutz und Hilfe verspricht, stellt sich blind und taub und lässt den Täter so gewähren. Das hinterlässt in der Psyche des Kindes unvorstellbar tiefe Brüche, die oft ein Leben lang nicht mehr heilen. Das Versagen von Aufsichtspflichtigen ist struktureller Bestandteil des sexuellen Missbrauchs. So müssen wir es auch behandeln. Deshalb haben wir zusammen mit Bayern diesen Vorstoß auf der Justizministerkonferenz eingebracht.“

Die beiden Länder setzen sich für die Schaffung eines neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch (§ 176f StGB) ein. Vorgeschlagen wird eine ausgewogene Regelung, die dem wichtigen Ziel des Kindesschutzes vor Missbrauch effektiv dient und gleichzeitig keine unangemessenen Sanktionsrisiken schafft. Sie soll deshalb auf Fälle schweren Versagens, also grober Pflichtverletzungen, von fürsorge- oder aufsichtspflichtigen Personen beschränkt werden. Die Strafbarkeit sollte auch voraussetzen, dass es tatsächlich zum sexuellen Missbrauch eines Kindes gekommen ist, der durch pflichtgemäßes Verhalten verhindert oder zumindest erschwert worden wäre. Eisenreich: „Für diese Fälle schlagen wir eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor. Es geht hier um den Schutz unserer Kinder.“

Quelle: Bayerisches Staatsministerium der Justiz, Pressemitteilung vom 1. Juni 2022

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