Mit Beschluss vom 22. Juli 2021 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts eine Nichtanerkennungsbeschwerde der Deutschen Zentrumspartei (im Folgenden: Beschwerdeführerin) zurückgewiesen. Diese richtete sich gegen die Entscheidung des Bundeswahlausschusses, die Beschwerdeführerin nicht als Partei für die Bundestagswahl anzuerkennen. Der Zweite Senat hat die – erstmalig in einem Nichtanerkennungsbeschwerdeverfahren ohne Begründung bekanntgegebene – Entscheidung nunmehr gemäß § 96d Satz 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) begründet.

Im Nichtanerkennungsbeschwerdeverfahren findet eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der entscheidungsrelevanten Wahl- und Parteienrechtsnormen – hier der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 23 Abs. 2 Satz 4 Parteiengesetz (PartG) – grundsätzlich nicht statt. Davon möglicherweise in Betracht kommende Ausnahmen sind vorliegend nicht einschlägig. Durch den grundsätzlichen Verzicht auf eine inzidente Normenkontrolle entsteht keine mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbare Rechtsschutzlücke. Die angegriffene Entscheidung des Bundeswahlausschusses ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Sachverhalt:

Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 23 PartG verliert eine Vereinigung ihre Rechtsstellung als Partei, wenn sie sechs Jahre lang keinen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Rechenschaftsbericht eingereicht hat. Zu den einzuhaltenden gesetzlichen Anforderungen zählt, dass der Rechenschaftsbericht von einem Wirtschafts- oder einem vereidigten Buchprüfer zu prüfen und zu testieren ist. Lediglich wenn eine Partei nicht an der staatlichen Parteienfinanzierung teilnimmt und im Rechnungsjahr weder über Einnahmen noch über ein Vermögen von mehr als 5.000 Euro verfügt, entfällt gemäß § 23 Abs. 2 Satz 4 PartG die Testatpflicht.

Die Beschwerdeführerin reichte beim Deutschen Bundestag lediglich für die Jahre 2019 und 2020 Rechenschaftsberichte ein, die von einem Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer weder geprüft noch testiert waren.

Am 9. Juli 2021 entschied der Bundeswahlausschuss, dass die Beschwerdeführerin nicht als Partei für die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag anerkannt werde. Zur Begründung seiner Entscheidung führte er aus, die Beschwerdeführerin habe die Rechtsstellung als Partei verloren, weil sie in den vergangenen sechs Jahren keine oder unvollständige Rechenschaftsberichte eingereicht habe.

Die Beschwerdeführerin wandte sich gegen diese Entscheidung des Bundeswahlausschusses. Sie ist der Auffassung, die Entscheidung verstoße gegen Art. 21 Abs. 1 GG. Die Versagung der Anerkennung als politische Partei stelle sich als völlig unverhältnismäßig dar. Die gesetzliche Regelung des § 23 Abs. 2 Satz 4 PartG sei verfassungsrechtlich fragwürdig. Eine Anhebung der Schwellenwerte für die Testatpflicht sei geboten, da es einer Partei bei Einnahmen in einer Höhe von 5.001 Euro nicht möglich sei, neben der politischen Arbeit Geld für die Bezahlung eines Wirtschaftsprüfers zurückzulegen.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet.

I. Das Bundesverfassungsgericht überprüft im Rahmen einer Nichtanerkennungsbeschwerde grundsätzlich nicht die Verfassungsmäßigkeit der Normen, auf die der Bundeswahlausschuss seine Entscheidung über die Nichtzulassung einer Partei zur Bundestagswahl gestützt hat (hier: § 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 23 Abs. 2 Satz 4 PartG).

Das Verfahren über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag bestimmt sich nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG, §§ 96a-d BVerfGG und § 18 Abs. 4a Bundeswahlgesetz (BWahlG). Die Auslegung dieser Vorschriften ergibt, dass sich die Prüfung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Verfahren auf die Frage der ordnungsgemäßen Anwendung des einfachen Rechts durch den Bundeswahlausschuss beschränkt.

1. Vor allem systematische Erwägungen sprechen dafür, dass im Nichtanerkennungsbeschwerdeverfahren eine Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit entscheidungsrelevanter Bestimmungen des Wahl- und Parteienrechts regelmäßig unterbleibt.

a) Entsprechende Anhaltspunkte folgen bereits aus der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Verfahrens.

aa) Gemäß § 18 Abs. 4 Satz 1 BWahlG entscheidet der Bundeswahlausschuss spätestens am 79. Tag vor der Wahl über die Anerkennung einer Vereinigung als Partei. Zugleich bestimmt § 18 Abs. 4a Satz 2 BWahlG, dass spätestens am 59. Tag vor der Wahl die Fiktion der Parteieigenschaft einer gegen die Nichtanerkennung beschwerdeführenden Vereinigung endet. Nur bei einer Entscheidung bis zu diesem Zeitpunkt kann daher sichergestellt werden, dass eine Benachteiligung einer als Partei anzuerkennenden Vereinigung im Wahlkampf unterbleibt. Der damit vorgegebene enge Zeitrahmen streitet gegen die Durchführung inzidenter Normenkontrollen im Nichtanerkennungsbeschwerdeverfahren.

bb) Die in § 96a Abs. 2 BVerfGG vorgesehene viertägige Begründungsfrist für die Nichtanerkennungsbeschwerde steht ebenfalls der Durchführung einer inzidenten Normenkontrolle in diesem Verfahren entgegen, da in der Regel innerhalb dieser Frist die Verfassungswidrigkeit einer streitentscheidenden Norm nicht substantiiert wird begründet werden können.

cc) Außerdem ist im Verfahren der Nichtanerkennungsbeschwerde die Einholung von Stellungnahmen außer derjenigen des Bundeswahlausschusses nach § 96b BVerfGG nicht vorgesehen. Auch dies deutet darauf hin, dass eine Normverwerfung in diesem Verfahren systematisch nicht angelegt ist.

b) Der Grundsatz des nachgelagerten Rechtsschutzes in Wahlsachen spricht ebenfalls für den grundsätzlichen Verzicht auf eine inzidente Normenkontrolle im Verfahren der Nichtanerkennungsbeschwerde.

aa) Dieser Grundsatz, der in Art. 41 GG verfassungsrechtlich verankert ist, trägt dem Charakter der Wahl als Massenverfahren Rechnung. Dass der Wahlrechtsschutz grundsätzlich erst nach der Wahl erfolgt, ist nicht zuletzt aus Gründen der Gewährleistung der termingerechten Durchführung der Wahl zwingend. Daher ist es von Verfassungs wegen unbedenklich, dass gemäß § 49 BWahlG bei der Wahl zum Deutschen Bundestag die Rechtskontrolle der auf das Wahlverfahren bezogenen Entscheidungen während der Vorbereitung und Durchführung der Wahl eingeschränkt ist und die Kontrolle von Wahlfehlern regelmäßig einem nach der Wahl durchzuführenden Prüfungsverfahren vorbehalten bleibt.

bb) Der nachträgliche Wahlrechtsschutz gewährleistet die umfassende Überprüfung potentieller Wahlfehler einschließlich der eventuellen Feststellung der Verfassungswidrigkeit der entscheidungserheblichen Wahlrechtsnormen erst nach der Beendigung der Wahl. Inhaltlich prüft das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der gegen die Entscheidung des Deutschen Bundestages über den Wahleinspruch gerichteten Wahlprüfungsbeschwerde nicht nur, ob die mit Blick auf den geltend gemachten Wahlfehler relevanten Wahlvorschriften richtig angewandt wurden. Vielmehr setzt sich das Gericht auch mit der Frage auseinander, ob die angewandten Wahlrechtsnormen mit der Verfassung in Einklang stehen.

cc) Die Einführung der Nichtanerkennungsbeschwerde hat an der Geltung des Grundsatzes nachgelagerten Rechtsschutzes in Wahlsachen nichts geändert, sondern stellt eine punktuelle Ausnahme dar, die der verbreiteten Kritik an der fehlenden Möglichkeit einer vorgelagerten Überprüfung der Entscheidung des Bundeswahlausschusses Rechnung tragen sollte.

dd) Der Ausnahmecharakter der Nichtanerkennungsbeschwerde spricht dafür, ihren Anwendungsbereich zurückhaltend zu bestimmen. Da der Bundeswahlausschuss bei der Entscheidung über die Anerkennung einer Vereinigung als Partei für die Wahl an die einfachgesetzlichen Vorgaben des Wahl- und Parteienrechts gebunden und zu einer Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Normen nicht berufen ist, liegt es nahe, das Prüfprogramm des Bundesverfassungsgerichts in dem gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerdeverfahren auf die korrekte Anwendung des einfachen Rechts durch den Bundeswahlausschuss zu beschränken.

2. Auch Sinn und Zweck der Nichtanerkennungsbeschwerde sprechen gegen die Durchführung einer inzidenten Normenkontrolle im Rahmen dieses Verfahrens.

a) Zweck des Verfahrens ist die Gewährung rechtzeitigen Rechtsschutzes, der einer zu Unrecht nicht als Partei anerkannten Vereinigung die chancengleiche Teilnahme an der Wahl ermöglichen soll. Die Ausgestaltung des Verfahrens in §§ 96a ff. BVerfGG dient dazu, einerseits die termingerechte Durchführung der Wahl sicherzustellen und andererseits eine Kontrolle und etwaige Korrektur des Ausschlusses einer Vereinigung von der Wahlteilnahme durch den Bundeswahlausschuss zu ermöglichen. Die Nichtanerkennungsbeschwerde stellt sich damit als ein in gewisser Weise hybrides Verfahren dar, nämlich als ein Hauptsacheverfahren, das jedoch besonders beschleunigt durchzuführen und im Ergebnis wie ein Eilverfahren zu behandeln ist. Insofern unterscheidet sich die Nichtanerkennungsbeschwerde von allen anderen verfassungsgerichtlichen Verfahren und stellt sich als ein Rechtsbehelf sui generis dar, der eigenen Maßstäben unterliegt.

b) Nach seiner Konzeption zielt das Verfahren der Nichtanerkennungsbeschwerde nicht auf die umfassende Überprüfung und Beanstandung objektiver Rechtsverstöße, sondern auf die zügige, am Interesse der beschwerdeführenden Vereinigung an der Wahlteilnahme orientierte Beurteilung der Negativentscheidung des Bundeswahlausschusses nach § 18 Abs. 4 BWahlG.

II. Ob eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass bei Nichtanerkennungsbeschwerden eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der entscheidungsrelevanten Wahlrechtsnormen nicht stattfindet, in Betracht zu ziehen ist, wenn wegen der offensichtlichen Verfassungswidrigkeit einer solchen Norm ein schwerwiegender Wahlfehler droht, kann hier dahinstehen. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Mögliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die für die Nichtanerkennung der Beschwerdeführerin entscheidungsrelevanten Regelungen in § 2 Abs. 2 Satz 2 und § 23 Abs. 2 PartG überschreiten jedenfalls nicht die Grenze der Offensichtlichkeit.

1. Die Rechenschaftspflichten der Parteien gemäß §§ 23 ff. PartG finden ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG. Danach müssen politische Parteien über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben. Grundsätzlich ist es daher nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber davon ausgeht, dass nur ein vollständiger Rechenschaftsbericht unter Einbeziehung externen Sachverstandes dem Verfassungsgebot genügt, die Bürgerinnen und Bürger über Einnahmen, Ausgaben und Vermögen einer Partei zu unterrichten. Auch wenn die den Parteien durch §§ 23 ff. PartG auferlegten Rechenschaftspflichten in ihre durch Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG geschützte Betätigungsfreiheit eingreifen, finden diese in Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG ihre grundsätzliche Rechtfertigung. Dies gilt aber nur, wenn die Entziehung der Parteieigenschaft dem Gebot eines angemessenen Ausgleichs zwischen der Parteienfreiheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG und der verfassungsrechtlichen Pflicht zur öffentlichen Rechnungslegung gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG entspricht.

Ob § 2 Abs. 2 Satz 2 PartG dem Rechnung trägt, ist in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bisher nicht entschieden. Fraglich erscheint insbesondere, ob § 2 Abs. 2 Satz 2 PartG nicht zumindest in denjenigen Fällen gegen Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG verstößt, in denen er bei kleineren, finanziell wenig leistungsfähigen Parteien, die nicht unter den Ausnahmetatbestand des § 23 Abs. 2 Satz 4 PartG fallen, den Wegfall der Parteieigenschaft anordnet.

2. Insoweit fehlt es jedoch an einer evidenten Verfassungswidrigkeit von § 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 23 PartG, auf die es im vorliegenden Verfahren der Nichtanerkennungsbeschwerde aus den genannten Gründen allenfalls ankäme. Denn es bedürfte zur verfassungsrechtlichen Würdigung dieser Regelungen bereits in tatsächlicher Hinsicht der Klärung, ob die Behauptung der Beschwerdeführerin zutrifft, dass auch für Parteien jenseits des Ausnahmetatbestands des § 23 Abs. 2 Satz 4 PartG die Prüfungs- und Testatpflicht nicht erfüllbar oder jedenfalls mit Belastungen verbunden ist, die zu unzumutbaren Beeinträchtigungen bei der Wahrnehmung des den Parteien zugewiesenen Verfassungsauftrags führen. Daneben ist nicht offensichtlich, dass die gesetzliche Ausgestaltung der Rechnungslegungspflichten und der Folgen ihrer Nichtbeachtung den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen angemessenen Ausgleich zwischen Parteienfreiheit und Transparenzgebot nicht entspricht.

III. Der eingeschränkte Prüfungsmaßstab im Verfahren der Nichtanerkennungsbeschwerde verstößt nicht gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.

Die Möglichkeit der Nichtanerkennungsbeschwerde schließt nicht aus, die Verfassungswidrigkeit der für die Nichtanerkennung einer Vereinigung als Partei entscheidungsrelevanten Vorschriften des Wahl- und Parteienrechts im Wege des nachgelagerten Wahlrechtsschutzes geltend zu machen. Zwar wird im Schrifttum vertreten, dass im Anwendungsbereich der Nichtanerkennungsbeschwerde eine nachträgliche Wahlprüfung grundsätzlich ausgeschlossen sei. Dabei bleibt aber außer Betracht, dass im Nichtanerkennungsbeschwerdeverfahren eine inzidente Normenkontrolle regelmäßig gerade nicht stattfindet und daher alle damit im Zusammenhang stehenden verfassungsrechtlichen Fragen ungeprüft bleiben.

Daher kann die Verfassungswidrigkeit dieser Normen im Wahlprüfungsverfahren gesondert geltend gemacht werden. Die materielle Rechtskraft einer Entscheidung bindet das Bundesverfassungsgericht in einem späteren Verfahren nur, wenn es sich um denselben Streitgegenstand zwischen denselben Parteien handelt. Streitgegenstand im Nichtanerkennungsbeschwerdeverfahren ist aber allein die richtige Anwendung der entscheidungsrelevanten Vorschriften des einfachen Wahlrechts bei der Entscheidung über die Nichtanerkennung gemäß § 18 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BWahlG.

IV. Auf die Nichtanerkennungsbeschwerde der Beschwerdeführerin war nach dem Vorstehenden lediglich zu überprüfen, ob deren Nichtanerkennung als Partei für die Wahl in ordnungsgemäßer Anwendung von § 18 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BWahlG in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 2, § 23 PartG erfolgte. Dies ist zu bejahen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung vom 8. Juni 2022

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