Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom
02.06.2022 der Klage der Fraktion der AfD im Landtag von Baden-Württemberg
stattgegeben. Die Berufung wurde zugelassen (Az.: 10 K 4519/19).
Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die Aufhebung des Rückforderungsbescheids
vom 05.06.2019. Mit diesem forderte die Beklagte von der Klägerin auf
der Grundlage von § 4 Abs. 1 FraktG Fraktionszuschüsse in Höhe von insgesamt
11.241,53 Euro zurück, weil die von der Klägerin geschalteten und aus
Fraktionszuschüssen finanzierten Anzeigenkampagnen „Auenland“ und „Mordor“,
„Bargeld ist Freiheit“ sowie „Linksextremismus“ nach Ansicht der Beklagten
über die zulässige Öffentlichkeitsarbeit von Fraktionen hinausgingen.
Die Kammer erklärt den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten für eröffnet. Es
handele sich insbesondere nicht um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit. Zwar
seien vorliegend zwei Teile eines Verfassungsorgans – nämlich die Präsidentin
des Landtags und die Fraktion der AfD im Landtag – beteiligt. Für den geltend
gemachten Rückforderungsanspruch komme es aber entscheidend auf die Bestimmungen
des Fraktionsgesetzes und damit auf die Anwendung und Auslegung
einfachen Rechts an. Dass hierbei auch verfassungsrechtliche Gerichtspunkte
eine Rolle spielen könnten, stehe einer Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
nicht entgegen.

Die zulässige Klage sei auch begründet. Der Rückforderungsbescheid vom
05.06.2019 sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten (§ 113
Absatz 1 Satz 1 VwGO).
Zwar bilde § 4 Absatz 1 FraktG im Grundsatz eine Rechtsgrundlage für den geltend
gemachten Rückforderungsanspruch. Auch lasse sich aus Artikel 32 Absatz
3 Sätze 1 und 2 der Landesverfassung ableiten, dass die Präsidentin des Landtags
für die Rückforderung von Fraktionszuschüssen zuständig sei. Allerdings
habe die Beklagte nicht in der Form des Verwaltungsakts handeln dürfen. Denn
der Erlass eines belastenden Verwaltungsakts setze aufgrund von dessen Bedeutung
(vollstreckbarer Titel) und der Bindung jeder Verwaltung an Recht und
Gesetzt (Artikel 20 Absatz 3 GG) nicht nur voraus, dass für die getroffene rechtliche
Regelung in materieller Hinsicht eine gesetzliche Grundlage bestehe, sondern
es sei auch erforderlich, dass der Behörde aus entsprechenden gesetzlichen
Grundlagen die Kompetenz zukomme, in Form eines Verwaltungsakts
handeln zu dürfen. Daran fehle es hier.
Eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage, wie sie sich auf Bundesebene in vergleichbaren
Zusammenhängen z.B. für den Anspruch des Bundestagspräsidenten
aus § 31c Absatz 1 Satz 3 PartG („Der Präsident stellt die Verpflichtung der
Partei zur Zahlung des Betrages durch Verwaltungsakt fest.“) oder § 44a Absatz
5 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen
Bundestages (AbgG, „Nach den Absätzen 2 bis 4 unzulässige Zuwendungen
oder Vermögensvorteile oder ihr Gegenwert sind dem Haushalt des Bundes zuzuführen.
Der Präsident macht den Anspruch durch Verwaltungsakt geltend …“)
ergebe, lasse sich im Land weder den Vorschriften des Fraktionsgesetzes noch
einer anderen Vorschrift entnehmen.
Einer solchen Handlungsermächtigung bedürfe es zwar nicht in Fällen, in denen
sich die Rückforderung als „Kehrseite“ (actus contrarius) der Gewährung darstelle.
Voraussetzung hierfür sei allerdings, dass eine Leistungsgewährung durch
Verwaltungsakt erfolgt sei. Dies sei hier indes nicht der Fall. Vielmehr ergebe
sich die Höhe der Fraktionszuschüsse bereits aus dem Haushaltsplan, den die
Beklagte lediglich vollziehe.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei des Weiteren zwar
anerkannt, dass die Befugnis der Verwaltung, sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben
des Mittels des Verwaltungsakts zu bedienen, nicht ausdrücklich in der gesetzlichen
Grundlage erwähnt sein müsse, sondern es ausreiche, wenn sich die Verwaltungsaktbefugnis
aus dem Gesetz im Wege der Auslegung entnehmen lasse.
Es sei jedoch bereits sehr fraglich, ob diese Rechtsprechung, welche vor allem
im Zusammenhang mit dem Erlass von Verwaltungsakten gegenüber dem Bürger
entwickelt worden sei und das hierfür typische Über-
/Unterordnungsverhältnis betone, auf den vorliegenden Fall übertragen werden
könne. Denn hier stünden sich nicht Staat und Bürger, sondern zwei Teile eines
Verfassungsorgans gegenüber.
Aber selbst wenn die angeführte Rechtsprechung für anwendbar gehalten würde,
ergebe sich für den vorliegenden Fall auch im Wege der Auslegung keine
Befugnis der Beklagten zum Erlass eines Verwaltungsakts. Insbesondere könne
eine solche nicht § 4 Absatz 1 FraktG entnommen werden. Auch wenn die Beklagte
für die Rückforderung von Fraktionszuschüssen aufgrund von Artikel 32
Absatz 3 LV zuständig sei, sei weder in § 4 Absatz 1 FraktG noch in einer anderen
Vorschrift ausdrücklich geregelt, dass sie über die Rückforderung von Fraktionszuschüssen
entscheide. Da sich somit bereits ihre materiellrechtliche Befugnis
zur Rückforderung von Fraktionszuschüssen nur durch Auslegung ermitteln
lasse, bestehe für eine Herleitung ihrer formellen Handlungsbefugnis kein weiterer
Interpretationsraum, weil es insoweit an einem hinreichenden Anknüpfungspunkt
im Gesetz fehle.
Eine Ermächtigung der Beklagten zum Erlass eines Verwaltungsakts sei auch
nicht unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens eines „Sonderstatusverhältnisses“
entbehrlich, welches für Fälle, in denen eine besondere intensive Einbindung
des Einzelnen in staatliche Einrichtungen bestehe (Beamte, Soldaten, Schüler,

Strafgefangene), tradiert sei und weiterhin diskutiert werde. Denn auch insoweit
fehle es an einem vergleichbaren Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen den
Beteiligten. Vielmehr sei ausgehend von dem Status der Klägerin als Teil der
„organisierten Staatlichkeit“ von einer Gleichrangigkeit der Beteiligten auszugehen.
Einer solchen Gleichrangigkeit von Teilen desselben Verfassungsorgans
würde es widersprechen, wenn die Beklagte ohne gesetzliche Ermächtigung einseitig
verbindliche Regelungen treffen könnte. Aus diesem Grund könne auch
keine Parallele zum öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis gezogen werden.
Fehle es – wie hier – an einer Ermächtigung zur Verwendung der Handlungsform
Verwaltungsakt, sei dieser aus formellen Gründen aufzuheben und die Behörde
auf die Verwendung konsensualer Handlungsformen und infolge dessen ggf. auf
die Erhebung einer Leistungsklage verwiesen.
Da die Kammer die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
zugelassen hat, ist gegen dieses Urteil die Berufung an den Verwaltungsgerichtshof
Baden-Württemberg gegeben. Die Berufung ist beim Verwaltungsgericht
Stuttgart innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils
einzulegen.

Quelle: Verwaltungsgericht Stuttgart, Pressemitteilung vom 15. Juni 2022

Cookie Consent mit Real Cookie Banner