Das hat der 6. Senat am 25. Juli 2022 in einem Beschluss entschieden. Dagegen ist die Stadt vorläufig nicht verpflichtet, die Unterschreitung bestimmter Lärmwerte sicherzustellen; insoweit hatte die Beschwerde der Landeshauptstadt gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Erfolg.

Die Antragsteller wohnen in unmittelbarer Nähe des Kreuzungsbereichs Louisenstraße/Görlitzer sowie Rothenburger Straße in der Äußeren Neustadt von Dresden. Ihre Wohnungen haben Wohn- und Schlafräume nur zur Straßenseite. Auf der umgangssprachlich als »Schiefe Ecke« oder »Assi-Eck« bezeichneten Kreuzung halten sich von Frühjahr bis Herbst, insbesondere aber in den Sommermonaten und an den Abenden und in den Nächten an Freitagen und Samstagen, Hunderte, in Extremfällen 1.500 oder 3.000 Menschen auf, die auf den Gehsteigen und Straßenflächen sitzen oder stehen. Unter anderem durch Unterhaltungen, Rufen, Singen, Spielen von Musikgeräten und die Verwendung von Musikboxen kommt es seit Jahren trotz regelmäßiger Einsätze des Gemeinde- und Polizeivollzugsdienstes zu außergewöhnlich hohen Lärmimmissionen.

Die Antragsteller haben im Juni 2021 Klage erhoben und im September 2021 einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel beantragt, die Landeshauptstadt Dresden zu verpflichten, geeignete polizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der den Schutz der Nachtruhe bezweckenden Vorschriften ihrer Polizeiverordnung von 25. Januar 2018 zu ergreifen, um die Lärmimmissionen unter einen bestimmten Grenzwert zu reduzieren.

Das Verwaltungsgericht Dresden hat dem Antrag mit Beschluss vom 20. Dezember 2021 stattgegeben und der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, geeignete polizeiliche Maßnahmen zum Schutze der Nachtruhe zu ergreifen, soweit und solange außen an den Wohnungen der Antragsteller zwischen 22 und 6 Uhr ein bestimmter Lärmwert, ein Beurteilungspegel von 62 dB(A), regelmäßig überschritten wird.

Das Oberverwaltungsgericht hat den Freistaat Sachsen als Träger des Polizeivollzugsdiensts zum Verfahren beigeladen und am 9. Mai 2022 einen Erörterungstermin mit den Beteiligtenvertretern durchgeführt. Vor dem Hintergrund der Beratungen über den Erlass von Polizeiverordnungen, die ein Alkoholkonsum- und -mitführverbot an der »Schiefen Ecke« und ein Alkoholabgabeverbot in der Äußeren Neustadt an Freitagabenden und Samstagabenden beinhalteten, hat der Senat auf Bitten der Vertreter der Beteiligten zunächst auf eine Entscheidung verzichtet. Am 23. Juni 2022 hat der Stadtrat der Antragsgegnerin den Erlass der von der Stadtverwaltung vorgeschlagenen Verordnungen abgelehnt.

Mit Beschluss vom 25. Juli 2022 hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht auf die Beschwerde der Landeshauptstadt den Beschluss des Verwaltungsgerichts geändert und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nur verpflichtet, die Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts wegen ihres Begehrens neu zu bescheiden.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Antragsteller grundsätzlich lediglich einen Anspruch darauf hätten, dass die Landeshauptstadt über das polizeiliche Einschreiten nach ihrem Ermessen entscheide. Allerdings könne sich das Ermessen zu einer Pflicht zum Einschreiten verengen. Ob das hier der Fall sei, bedürfe näherer Prüfung und könne im Eilverfahren nicht geklärt werden. Insbesondere sei auch offen, ob ein Beurteilungspegel von 62 dB(A), der die grundrechtliche Zumutbarkeitsschwelle für gesundheitsgefährdendem Lärm markiere, angesichts der sonstigen Lärmquellen in der Straße in absehbarer Zeit regelmäßig unterschritten werden könne.

Die Entscheidung der Landeshauptstadt, keine weiteren als die bisherigen Maßnahmen zur Durchsetzung der auch der Nachtruhe der Antragsteller dienenden Verbote ihrer Polizeiverordnung zu ergreifen, sei aber ermessensfehlerhaft. Die Landeshauptstadt wird unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats und in Zusammenarbeit mit dem Polizeivollzugsdienst erneut über ein Konzept zum Lärmschutz an der »Schiefen Ecke« und Maßnahmen zu entscheiden haben, die dazu führten, dass ein verbesserter und wirksamerer Lärmschutz erreicht werde. Insbesondere werde die Antragsgegnerin die Möglichkeit prüfen müssen, die Lärmschutzbestimmungen der Polizeiverordnung um eine Regelung zu erweitern, die Personen die Verhaltenspflicht auferlegt, sich aus einer Menschenansammlung zu entfernen oder sich von ihr fernzuhalten, wenn und solange von ihr unzumutbarer Lärm während der Nachtruhezeiten ausgehe. Zu überprüfen sei das Konzept auch im Hinblick auf kommunikative Ansprachen und ggf. Platzverweise und deren Durchsetzung zur Abwehr von Störungen der öffentlichen Sicherheit. Würden eine Straße, ein Gehweg und ein dem Fuß- und Autoverkehr gewidmeter Platz zum »Platz zum öffentlichen Feiern« umfunktioniert und sei kein Durchkommen mehr, liege keine gemeinverträgliche Inanspruchnahme der Straße durch die dort Verweilenden mehr vor. Die Aufgabe der Polizei, Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwenden, und die grundrechtliche Schutzpflicht gegenüber den Anwohnern lege dann ein Einschreiten nahe, es sei denn, dies wäre faktisch im Einzelfall nicht möglich oder zumutbar. Zuständig hierfür sei vorrangig die Landeshauptstadt, die aber um Vollzugshilfe des Polizeivollzugsdiensts ersuchen könne. Diese Maßnahmen erlangten umso mehr Bedeutung, nachdem der Erlass von zwei Polizeiverordnungen über ein Alkoholkonsum-, Alkoholmitführ- und Alkoholabgabeverbot durch Stadtratsbeschluss vom 23. Juni 2022 abgelehnt worden sei.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, gegen den kein Rechtsmittel gegeben ist, kann in der Entscheidungsdatenbank des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (https://www.justiz.sachsen.de/ovgentschweb) abgerufen werden.

SächsOVG, Beschluss vom 25. Juli 2022 – 6 B 16/22 –

Quelle: Oberverwaltungsgericht, Pressemitteilung vom 27. Juli 2022

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