Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit zwei heute bekannt gegebenen Beschlüssen in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung von Klagen einer anerkannten Umweltvereinigung und einer Privatperson, deren Grundstücke durch die Planung teilweise in Anspruch genommen werden, gegen den Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der B 10 Ortsumfahrung Enzweihingen angeordnet. Das Vorhaben kann damit (jedenfalls vorläufig) nicht umgesetzt werden. Eine abschließende Entscheidung in den Hauptsachenverfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss steht noch aus.

Gegenstand des Vorhabens ist die Umfahrung des Ortsteils Enzweihingen der Stadt Vaihingen an der Enz im Zuge der B 10. Der Ortskern von Enzweihingen ist bisher mit mehr als 25.000 Kraftfahrzeugen pro Tag belastet. Über mögliche Lösungen für eine Entlastung in Form großräumiger und kleinräumiger Umfahrungen und in Form von Tunnellösungen wird seit mehreren Jahrzehnten auch in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert. Trägerin des Vorhabens ist die durch das Regierungspräsidium Stuttgart vertretene Bundesstraßenbauverwaltung. Das Planfeststellungsverfahren wurde im Mai 2017 eingeleitet und mit dem angegriffenen Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Stuttgart am 20. Mai 2021 abgeschlossen. Die nunmehr geplante Ortsumfahrung soll mit einer Fahrbahn pro Fahrtrichtung nördlich von Enzweihingen mit zwei Brücken über einen Bach und die Enz geführt und westlich und östlich von Enzweihingen kreuzungsfrei mit der bestehenden B 10 verbunden werden.

Nach Auffassung des 5. Senats des VGH haben die gegen diese Planung gerichteten Klagen der anerkannten Umweltvereinigung und der Privatperson voraussichtlich Erfolg. Die Vorhabenträgerin müsse sich – vorrangig aus artenschutzrechtlichen Gründen – auf die zuletzt in der Öffentlichkeit und auch im Planfeststellungsverfahren diskutierten Varianten verweisen lassen, die statt der Ortsumfahrung jeweils einen Kurztunnel unter dem Ortskern des Ortsteils Enzweihingen vorsehen. Beide Kurztunnelvarianten – eine Entscheidung zwischen beiden Varianten müsse im vorliegenden Verfahren noch nicht erfolgen – erwiesen sich in Bezug auf den Artenschutz als vorzugswürdig. Denn mit der geplanten Ortsumfahrungsvariante seien erhebliche Störungen und der Verlust von Fortpflanzungs- und Ruhestätten sowie das bau- und betriebsbedingte Risiko der Tötung mehrerer besonders geschützter Tierarten verbunden. Hinzu komme, dass der Schutz einiger der betroffenen Tierarten von den Schutzzwecken des europarechtlich bedeutsamen Schutzgebiets „Strohgäu und unteres Enztal“, das durch die neue Enzbrücke gequert und beeinträchtigt werde, umfasst sei. Für diese artenschutzrechtlichen Zugriffe bedürfe es einer Ausnahme von den grundsätzlich bestehenden gesetzlichen Verboten. Eine solche könne vorliegend jedoch nicht zugelassen werden, da mit den Kurztunnelvarianten zumutbare Alternativen zur Verfügung stünden. Zwar wiesen die Kurztunnelvarianten gegenüber der Ortsumfahrung nicht unerhebliche Nachteile auf. Denn ihre Verwirklichung sei im Vergleich zur Umfahrungsvariante mit etwa doppelt so hohen Kosten von mehr als 70 Millionen Euro verbunden. Hinzu kämen höhere Unterhaltungskosten sowie verbleibende Lärm- und Luftschadstoffbelastungen in Enzweihingen, notwendige bauliche Eingriffe in Grundwasserschichten und eine städtebauliche Trennwirkung insbesondere im Bereich der Tunneleingangsportale. Allerdings seien diese Nachteile unter ergänzender Berücksichtigung der demgegenüber mit der Ortsumfahrung verbundenen Einwirkungen insbesondere auf das Landschaftsbild, auf Naturdenkmale und bisher unbelastete und ökologisch wertvolle Flächen dennoch tragbar. Aufgrund der erheblichen Bedeutung des europarechtlich vorgeprägten Artenschutzes müsse die Vorhabenträgerin die nicht unverhältnismäßigen negativen Auswirkungen der Kurztunnelvarianten, mit denen die verkehrlichen Ziele der Entlastung des Ortskerns von Enzweihingen in nahezu gleicher Weise erreicht werden könnten, hinnehmen.

Die Beschlüsse des VGH sind unanfechtbar (5 S 2372/21 und 5 S 2515/21).

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 26. August 2022

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