Der 6. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 7. September 2022 in Angelegenheiten der Vertragsärzte und in Angelegenheiten des Vertragsarztrechts.


1) 10.00 Uhr – B 6 KA 10/21 R – Labor A. MVZ GmbH ./. Kassenärztliche Vereinigung Bayerns


Vorinstanzen:
Sozialgericht München – S 20 KA 109/13, 21.05.2019 Bayerisches Landessozialgericht – L 12 KA 37/19, 07.10.2020


Die Revision der klagenden MVZ-Trägergesellschaft hat Erfolg. Die beklagte KÄV durfte die Gewährung von Abschlagszahlungen an die Klägerin nicht von der Vorlage einer das Risiko vollständig absichernden Bankbürgschaft abhängig machen. Darin liegt eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung.
Die geänderten Abrechnungsbestimmungen der Beklagten unterscheiden hinsichtlich der Sicherung von Abschlagszahlungen zwischen MVZ-Trägergesellschaften, deren Gesellschafter ausschließlich natürliche Personen sind, auf der einen Seite und (privatrechtlich organisierten) MVZ-Trägergesellschaften, bei denen das nicht der Fall ist, auf der anderen Seite. Mit dieser Differenzierung überschreitet die Beklagte ihren grundsätzlich bestehenden weiten Spielraum bei der Ausgestaltung ihrer Abrechnungsbestimmungen. Es fehlt an den nach Art 3 Abs 1 GG erforderlichen Sachgründen für die Ungleichbehandlung. Soweit die Beklagte nach dem Inhalt der Materialien aus dem untergesetzlichen Normsetzungsverfahren daran anknüpft, dass die Haftung einer GmbH auf das Stammkapital von (mindestens) 25 000 Euro begrenzt sei, während eine natürliche Person unbegrenzt hafte, trifft das nicht zu, weil auch die GmbH mit ihrem gesamten Gesellschaftsvermögen haftet. Richtig ist, dass die Gesellschafter einer GmbH grundsätzlich nicht für Verbindlichkeiten der GmbH haften. Die Beklagte macht aber nicht geltend, dass Rückforderungen gegenüber MVZ-Trägergesellschaften, deren Gesellschafter wiederum GmbHs sind, aus diesem Grunde besonders häufig ins Leere gehen würden, sondern ist der Auffassung, dass es für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Regelung darauf nicht ankomme. Mit der vorgenommenen Differenzierung knüpft sie auch nicht an die bundesgesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen für MVZ in der Rechtsform einer GmbH an, sondern schafft davon abweichende untergesetzliche Vorgaben im Abrechnungsverhältnis. Die in § 95 Abs 2 Satz 6 SGB V getroffene Regelung, nach der die in der Rechtsform einer GmbH geführten MVZ nur zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden können, wenn die Gesellschafter selbstschuldnerische Bürgschaften oder gleichwertige andere Sicherheitsleistungen nach § 232 BGB abgeben, verlangt gerade nicht die Vorlage einer Bankbürgschaft und differenziert auch nicht danach, ob die Gesellschafter einer MVZ-Träger-GmbH natürliche oder juristische Personen sind.

2) 11.30 Uhr – B 6 KA 11/21 R – M. MVZ GmbH./. Berufungsausschuss für Ärzte in Thüringen 7 Beigeladene


Vorinstanz:
Sozialgericht Gotha – S 2 KA 2702/18, 03.02.2021


Die Revision des beklagten Berufungsausschusses ist ohne Erfolg geblieben. Das SG hat die Bescheide des Beklagten revisionsrechtlich beanstandungsfrei aufgehoben. Der Beklagte muss über die Widersprüche der klagenden Trägerin eines Medizinischen Versorgungszentrums in der Sache entscheiden, da die Widersprüche der Klägerin nicht durch fiktive Rücknahme nach § 45 Abs 1 Satz 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) erledigt sind.
Die Ärzte-ZV steht im Rang einer Rechtsverordnung. Daher bedarf es einer den Anforderungen des Art 80 GG entsprechenden hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage. Hieran fehlt es für die in § 45 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV getroffene Regelung der Rücknahmefiktion eines Widerspruchs bei nicht fristgerechter Zahlung der Widerspruchsgebühr. Der gesetzliche Rahmen der allein als relevant in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage des § 98 Abs 2 Nr 3 SGB V wird überschritten. Danach müssen die Zulassungsverordnungen Vorschriften über das Verfahren der Ausschüsse entsprechend den Grundsätzen des Vorverfahrens in der Sozialgerichtsbarkeit enthalten. Die Rechtsfolge der fingierten Widerspruchsrücknahme entspricht diesen Grundsätzen gerade nicht. Die Vorschrift des § 45 Abs 1 Satz 1 Ärzte-ZV berechtigt den Berufungsausschuss über die im SGG geregelten Vorgaben für das Widerspruchsverfahren hinaus, bei nicht fristgerechter Einzahlung der Widerspruchsgebühr den Widerspruch als fingiert zurückgenommen zu behandeln, selbst wenn es um grundrechtsintensive Entscheidungen in Zulassungssachen geht. Regelungen, die den effektiven Rechtsschutz derart gravierend beschränken, bedürfen einer klaren und bestimmten gesetzlichen Grundlage, an der es nach derzeitiger Rechtslage fehlt. Zwar sieht das SGG eine fiktive Klage- bzw Berufungsrücknahme vor, wenn Kläger das Verfahren trotz gerichtlicher Aufforderung länger als drei Monate nicht betreiben. Bei diesen Rücknahmefiktionen handelt es sich aber um eng begrenzte gesetzlich geregelte Ausnahmefälle, die nicht auf das Widerspruchsverfahren übertragen werden können. Etwas anderes folgt auch nicht aus den Besonderheiten des Verfahrens vor dem Berufungsausschuss. Auch wenn das Vorverfahren in Angelegenheiten des Vertragsarztrechts ein besonderes Verwaltungsverfahren ist und nach § 97 Abs 3 SGB V gegenüber dem Vorverfahren des SGG Besonderheiten aufweist, schafft § 98 Abs 2 Nr 3 SGB V keine umfassende Kompetenz zur Regelung vom sozialgerichtlichen Vorverfahren abweichender Vorschriften und erlaubt insbesondere keine Regelung, durch die die Gewährleistung umfassenden Rechtsschutzes iS des Art 19 Abs 4 GG erheblich eingeschränkt wird.

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