Die Wahlrechtskommission hat sich in ihrer Sitzung am Donnerstag, 20. Oktober 2022, eingehend mit einer Bündelung von Wahlterminen in Bund und Ländern, einer Aufwertung des Wahltags, dem steigenden Briefwahlanteil und der erleichterten Ausübung des Wahlrechts durch im Ausland lebende Deutsche auseinandergesetzt. Zur Bündelung von Wahlterminen sagte die SPD-Abgeordnete Leni Breymaier, die Demokratie würde entwertet, wenn alle Wahlen an einem Termin stattfinden, auch weil sich der Fokus der Medien auf die Bundestagswahl richten würde. Bedenken äußerte auch der CSU-Abgeordnete Alexander Hoffmann. Derzeit sei die „Tektur“ der parlamentarischen Demokratie, das Verhältnis von Bundestag und Bundesrat, stabil. Ein „Erdrutschsieg“ an einem einheitlichen Wahltag könnte diese Tektur „erdrutschartig“ verändern, etwa im Bundesrat.

Stephan Thomae (FDP) meinte, man könnte allenfalls alle Landtagswahltermine synchronisieren, wobei zu fragen sei, ob das wünschenswert wäre. Die zeitliche Abfolge der Wahlen bringe eine Vielfalt, die den demokratischen Prozess am Laufen halte. Albrecht Glaser (AfD) hält eine Bündelung der Wahltermine für nicht erreichbar. Das Auseinanderfallen der Wahltermine habe eine eigene demokratische Qualität. Eine hohe Wahlbeteiligung sei kein Zweck an sich, sagte Glaser und sprach sich gegen einen „Termin-Unitarismus“ aus. Susanne Hennig-Wellsow (Die Linke) verwies auf die Eigenstaatlichkeit der Länder, die ihre Wahlen selbstständig organisieren könnten. Auch müsste es bei vorzeitiger Beendigung einer Wahlperiode eine Ausnahmeregelung geben. Die Terminbündelung sei eine Idee, in der Umsetzung aber nicht unbedingt machbar. Till Steffen (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, die Debatte in seiner Fraktion sei noch nicht abgeschlossen.

Zur Aufwertung des Wahltags regte Leni Breymaier an, diesen zu einem „Fest der Demokratie“ zu machen. Man könnte die Frage diskutieren, so die SPD-Abgeordnete, ob alle technischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden sollten, um dahin zu gehen, wo sich die Menschen aufhalten. Da schwäbische Männer sich samstagvormittags im Baumarkt aufhielten, könnte es dort oder in einem Einkaufszentrum auch ein Wahllokal geben. Auch Alexander Hoffmann fragte, wie man die Menschen an die Urnen bringt. Einerseits halte die Politikverdrossenheit viele vom Wählen ab, die Inszenierung des Wahltags allein reiche nicht aus. Zum anderen müsse das Wählen einfach und komfortabel gemacht werden. Hoffmann wies auf die Schwierigkeiten hin, Wahlhelfer zu gewinnen und Wahllokale barrierefrei zu machen. Für ihn sei klar, so der CSU-Abgeordnete, dass es solche Zustände wie bei der Bundestagswahl 2021 in Berlin nie mehr geben dürfe.

Technische Lösungen, die allen Anforderungen genügen, brachte Till Steffen ins Spiel. Er könne sich nicht vorstellen, so der Grünen-Obmann, dass das Wahlrecht als einziges übrig bleibt, wenn alles andere digitalisiert ist. Steffen erinnerte daran, dass entscheidende Parteiversammlungen zur Aufstellung der Listen für die letzte Bundestagswahl coronabedingt digital stattgefunden hätten. Eine etwas andere Wahlgestaltung würde das Demokratieprinzip nicht beschädigen. Stephan Thomae sprach sich dafür aus, Hürden abzubauen und den Wahlakt zu vereinfachen, etwa durch Wahlmöglichkeit an mehreren Tagen. Eine dadurch mögliche höhere Wahlbeteiligung könnte den Verzicht auf die Inszenierung des Wahltags wieder ausgleichen, so der FDP-Abgeordnete. Susanne Hennig-Wellsow fragte, warum in Deutschland an einem Sonntag gewählt wird und nicht wie in anderen Ländern an einem Werktag. Als persönliche Meinung regte die Obfrau der Linken an, den Wahltag zu einem einmaligen Feiertag zu erklären.

Der Anteil der Briefwähler ist seit den neunziger Jahren mit 9,4 Prozent bis zur Bundestagswahl 2021 auf 47,3 Prozent gestiegen, wie der Ko-Vorsitzende der Kommission Johannes Fechner (SPD) vermerkte. Für SPD-Obmann Sebastian Hartmann ist wichtig, die Demokratie nicht nur als „Herrschaft der Mehrheit“ zu betrachten. Die CDU-Abgeordnete und Ko-Vorsitzende der Kommission Nina Warken fand eine „gewisse Flexibilität“ gut. Die Kehrseite sei allerdings, dass der Zeitraum der Wahl dadurch sehr groß werde. Der Wahl beginne dann schon sechs Wochen vor dem Wahltag. Der Status quo könnte aus Sicht Warkens ein guter Kompromiss sein.

Systematische Probleme sieht Albrecht Glaser. Die Freiheit der Wahl, die Geheimhaltung der Wahl und die Öffentlichkeit der Wahlhandlung seien bei der Briefwahl nicht hinzubekommen. Die freie Stimmabgabe in der Wahlkabine sei ein hoher Wert und habe eine Qualität, die man nach Ansicht des AfD-Obmanns nicht aufgeben sollte. Für Susanne Hennig-Wellsow ist die Möglichkeit der Briefwahl nicht mehr rückgängig zu machen. Man müsse sie vereinfachen und möglichen Missbrauch beobachten. Die Obfrau der Linken sprach von einem „Strecken des Wahlakts“. Sie fragte, ob man noch auf dem Boden einer Urnenwahl sei oder ob sich schon eine andere Form von Wahlen etabliert habe.

Dass sich die Zahl der Auslandsdeutschen, die sich an Wahlen in Deutschland beteiligen, deutlich erhöht, ist für Sebastian Hartmann wünschenswert. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse gefragt werden, an welchen Stellschrauben zu drehen sei und ob europaweit einheitliche Regelungen getroffen werden könnten. Nina Warken fragte, ob man nicht dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl höhere Bedeutung beimessen müsste. Sie regte etwa eine Vereinfachung des Verfahrens der Registrierung für Auslandsdeutsche, automatische Einträge in das Wählerverzeichnis, eine Urnenwahl in den Auslandsvertretungen oder die elektronische Ausübung des Wahlrechts an. „Es darf keine Denkverbote geben“, sagte die CDU-Abgeordnete.

Till Steffen hält die jetzige Regelung im Wahlrecht, durch Kriterien herauszufinden, ob die Auslandsdeutschen noch einen Bezug zur alten Heimat haben und dadurch wahlberechtigt sind, für ungeeignet. Die Lebensrealität habe sich verändert, es gebe viele Personen, die von ihren Arbeitgebern ins Ausland entsandt würden. Steffen brachte die Digitalisierung des Wahlprozesses ins Spiel und schlug vor, sich an Frankreich zu orientieren, wo Botschaften und Konsulate als Wahllokale dienten. Allerdings hänge es vom jeweiligen Staat ab, ob das genehmigt würde. Die Konsulate könnten gute Unterstützung leisten, so der Grünen-Obmann.

Susanne Hennig-Wellsow befürwortete ebenfalls die Einbeziehung von Konsulaten. Sie fragte, ob digitale Wahlen für Auslandsdeutsche möglich sein könnten und ob nicht zentral ein deutsches Amt für alle Auslandsdeutschen zuständig sein sollte. Zum Wahlrecht von Ausländern in Deutschland sagte sie, wer fünf Jahre in Deutschland lebe, sollte den Bundestag und das Europaparlament wählen dürfen. Konstantin Kuhle berichtete von Auslandsdeutschen, die vergeblich alles versucht hätten, um an Wahlen in Deutschland teilzunehmen. Der FDP-Obmann fragte, ob die Ursachen dafür systematisch erfasst werden und weshalb Deutschland nicht wie andere Staaten Auslandswahlkreise habe.

Der Bundestag hat die aus 13 Abgeordneten und 13 Sachverständigen bestehende Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit am 16. März 2022 eingesetzt (20/1023). Sie soll ihren Abschlussbericht bis 30. Juni 2023 vorlegen.

Quelle: Deutscher Bundestag, HiB Nr. 592 vom 22. Oktober 2022

Cookie Consent mit Real Cookie Banner