Die Kammer hat den Haftbefehl gegen den 66jährigen Angeklagten, dem der Mord eines 23jährigen weiblichen Opfers am 09.05.1987 in Lohmar vorgeworfen wird (Prozessauftakt war am 10.11.2022), zu Beginn der heutigen Hauptverhandlung mit ausdrücklicher Zustimmung der Vertreterin der Staatsanwaltschaft aufgehoben und die Aussetzung des Verfahren gem. § 228 StPO angeordnet.
Nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme sieht die Kammer keinen dringenden Tatverdacht mehr gegen den Angeklagten, wohl aber weiterhin einen hinreichenden Tatverdacht. Es hat daher die Aussetzung angeordnet und wird noch vorhandene ungeöffnete Leichenfolien auf das Vorhandensein von DNA untersuchen lassen. Wenn die Ergebnisse dieser Untersuchung vorliegen, wird die Kammer die Hauptverhandlung neu beginnen.


Die Kammer begründet ihren Beschluss wie folgt:
Maßgebliches Beweismittel des Verfahrens seien die von der Geschädigten am Tatort im Jahr 1987 gewonnenen Leichenfolien. Die darauf gesicherten Fasern vom Leichnam waren durch das Aufkleben von zwei Plastikfolien vor einer nachträglichen Kontamination geschützt.
Die Kammer sei bei ihrer Bewertung des dringenden Tatverdachts aufgrund entsprechender Aktenvermerke der Polizei NRW bislang davon ausgegangen, dass diese Leichenfolien vor der Untersuchung durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität München in den Jahren 2017 bis 2022 zu keinem Zeitpunkt – insbesondere nicht im Rahmen der in den Jahren 1987 und 1988 beim LKA NRW durchgeführten Faserspurenuntersuchungen – geöffnet worden waren, also die Alternative, dass die untersuchten Partikel durch eine nachträgliche Kontamination auf die Leichenfolien gekommen sind, nicht möglich sei. Die Vernehmung des für die Faserspurenuntersuchung zuständigen Beamten des LKA in der Hauptverhandlung am 24.11.2022 habe indessen ergeben, dass die Leichenfolien durch das LKA NRW bei der Untersuchung auf Faserspuren doch an vielen Stellen mit einem Skalpell eingeschnitten worden seien, um Fasern zu entnehmen.


Nach Ansicht der Kammer bringt dieses Einschneiden einer Leichenfolie die Gefahr einer Kontaminierung mit sich. Sie verweist dazu darauf, dass das Institut für Rechtsmedizin der Universität München bereits zuvor bei zwei Folien Körperzellen eines Beamten des LKA NRW gefunden hatte, der die Faserspurenuntersuchung in den Jahren 1987 und 1988 durchgeführt hatte.
Darüber hinaus habe die weitere Zeugenvernehmung ergeben, dass – entgegen eines weiteren anderslautenden Aktenvermerks – die Leichenfolien und die beim Angeklagten gesicherten Infofolien zur Faserspurensicherung bei den Untersuchungen in den 1980er Jahren nicht nur nicht räumlich getrennt voneinander untersucht worden seien, sondern überdies Fasern von Infofolien und Leichenfolien auf demselben Objektträger untersucht worden seien. Dadurch könne die Übertragung von DNA von einer Infofolie auf die Leichenfolie nicht ausgeschlossen werden. Der Zeuge habe dazu bekundet, dass in den Jahren 1987 und 1988 die Möglichkeit einer Untersuchung von Folien auf DNA angesichts des damaligen Standes der Wissenschaft noch außerhalb jeder Erwartung gestanden habe.


Ob die vom Institut für Rechtsmedizin der Universität München auf den Folien sichergestellten Partikel des Angeklagten möglicherweise an Stellen gefunden worden sind, in die nicht zuvor eingeschnitten wurden, ist nicht mehr feststellbar, da alle von dem Institut für Rechtsmedizin in München untersuchten Folien durch die Untersuchung zerstört wurden und demgemäß nicht mehr vorliegen.

Quelle: Landgericht Bonn, Pressemitteilung vom 1. Dezember 2022

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